Wichtige Stütze in Zeiten der Pandemie

Schwerins Oberbürgermeister Dr. Rico Badenschier über persönliche Erfahrungen mit Selbsthilfe und die aktuellen Herausforderungen im Jubiläumsjahr

Jeder, der in einem emotional belastenden Beruf tätig ist, braucht den fachlichen Austausch in geschützten Räumen. Ärzte führen diesen Austausch oft in so genannten Balint-Gruppen. Das sind Arbeitsgruppen von etwa acht bis zwölf Ärzten, die sich regelmäßig treffen, um über Problempatienten aus ihrer Praxis zu sprechen. Man bekommt hier Anregungen für eine neue Sichtweise. Darüber hinaus sind diese Gruppen eine psychosoziale Ressource, um belastende Arzt-Patient-Beziehungen oder andere Verwicklungen im beruflichen Umfeld zu bearbeiten und besser zu verstehen. Ich kam damit während meiner ärztlichen Tätigkeit in Berührung und denke, dass sowohl die Methode als auch Ressource sehr viele Parallelen zur Selbsthilfe aufweist.

Und ehrlich: Auch für einen Oberbürgermeister ist der kollegiale Austausch mit Kolleginnen und Kollegen wichtig nicht nur für den fachlichen und inhaltlichen Austausch, sondern bisweilen auch nur für das Gefühl: Man ist nicht allein. Zeit für diesen informellen Austausch mit Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern anderer Städte findet sich oft am Rande von z.  B. Städtetagsitzungen. Das ist äußerst bereichernd. Die Zeiten fehlender Treffen und Kontaktmöglichkeiten reißen auch hier eine große Lücke.

Ein Jubiläum in  außergewöhnlicher Zeit

Die KISS unterstützt bereits seit 30 Jahren Menschen mit chronischen Erkrankungen, psychischen und sozialen Problemen dabei, mit Gleichbetroffenen in Kontakt zu kommen und so ihr Leben wieder selbstbestimmt leben zu können. Dabei geht es nicht nur um die Bewältigung von Krankheiten und Lebenskrisen. Es geht auch um Gesunderhaltung und Wohlbefinden.

Die Landeshauptstadt hat großes Vertrauen zur KISS und baut auf die dort gebündelten Kompetenzen. Zum 30-jährigen Bestehen hat die Selbsthilfekontaktstelle allen Grund, stolz auf das Geleistete zu sein.

Selbsthilfegruppen sind gerade für Menschen in der Pandemie-Situation eine wichtige Stütze. Denn der Austausch zwischen Menschen mit ähnlichen Problemen, Sorgen und Erfahrungen bleibt auch jetzt für viele Menschen lebenswichtig!

Weil das so ist, haben sich sogar jetzt, in der Pandemie, 15 neue Selbsthilfegruppen gegründet. Darunter sind die SHG Verlassene Mütter – mein Kind lebt beim Vater, Hochsensible Menschen, Psychotherapie als Lebensweg, aber auch Migräne und Nahrungsmittelunverträglichkeiten.

Wir wissen, dass während der Pandemie vor allem die seelischen Nöte vieler Menschen zugenommen haben. Oft findet der Austausch jetzt im virtuellen statt. Aber Video- und Telefonkonferenzen können Präsenztreffen nicht vollständig ersetzen.

Um diese unter Abstands- und Hygieneauflagen durchführen zu können, müssen Selbsthilfegruppen gegenwärtig ungewöhnliche Wege gehen. Hier ist die Selbsthilfekontaktstelle als fachkundige Begleiterin und als Ideengeberin für neue Präsenzformate gefragt. Es wurde eine Höchstgrenze für die Gruppenräume festgelegt – im größten dürfen sich maximal zehn Personen treffen. Maskenpflicht und aktuelles negatives Testergebnis sind selbstverständlich. Selbsthilfegruppen müssen ihre Treffen in der KISS immer vorher anmelden und für Neugründungen von Gruppen werden Interessent*innen in einer Liste gesammelt, um mit ihnen Kontakt aufnehmen und eine Verbindlichkeit herstellen zu können. Für manche Menschen sind diese Hürden zu hoch, doch prinzipiell sollen Präsenztreffen in der KISS möglich sein. Genutzt wird dieses Angebot insbesondere von Selbsthilfegruppen mit psychischen und Sucht-Themen. Nicht zuletzt stellt sich im zweiten Jahr der Pandemie auch die Frage, welche Möglichkeiten gemeinschaftlicher Selbsthilfe es für Menschen gibt, die unmittelbar von Covid-19 betroffen sind oder waren, vor allem für diejenigen, noch lange nicht geheilt sind, auch wenn sie als geheilt gelten.

Gegenwärtig treffen sich Frauen und Männer in mehr als 160 Selbsthilfegruppen bei der KISS. Ich vermute, dass es in Kürze auch in Schwerin Selbsthilfegruppen von Menschen gibt, die an Covid-19 erkrankt waren und noch immer unter Folgen leiden. Und ich bin mir sicher, auch diese neuen Gruppen werden die volle Unterstützung der KISS erhalten, damit Betroffene Hilfe zur Selbsthilfe erhalten.