Ein ganz wichtiger Partner
Zum 30-jährigen Jubiläum möchte ich allen, die seit Jahren die Selbsthilfearbeit in Schwerin unterstützen, ganz herzlich gratulieren. Für unsere Klinik sind Sie über all die Jahre ein ganz wichtiger Partner gewesen. Viele Patienten, die wir aus der vollstationären oder tagesklinischen Behandlung entlassen, brauchen weiterhin Unterstützung - und häufig kann jemand, der selbst betroffen ist, besser oder anders helfen, wie wir auch aus den Psychoseseminaren wissen.
Wie oft fehlt es an Anlaufstellen, an Kontakten, an Gemeinschaften - stattdessen: sehr viel Einsamkeit. Und durch die vielen coronabedingten Einschränkungen ist dieses Problem aktuell noch größer geworden. Seit über einem Jahr gibt es an unserer Klinik eine „Genesungsbegleiterin“, eine junge Frau, die vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen mit einer psychischen Erkrankung eine Ausbildung bei Ex-In durchlaufen hat und die mittlerweile ihren Platz in unserem Behandlungsteam gefunden hat.
Ein gewisser Ausgleich gelingt vielleicht durch die Digitalisierung: Wir hören nicht nur eine Stimme im Telefonhörer, sondern sehen und treffen uns per Zoom, schicken hilfreiche Infos oder lustige Videoclips mit WhatsApp an die Menschen, die uns etwas bedeuten. Doch all das ersetzt nicht die lebendige Begegnung – „in Präsenz“, wie jetzt immer gesagt wird. Aber auch dann fehlt die Umarmung, und die Masken schaffen Distanz… Es fehlen auch gemeinsame Aktivitäten innerhalb einer Gruppe, Ausflüge, Wanderungen oder der Besuch von Ausstellungen und anderen Kulturveranstaltungen.
Corona hat unter anderem zu einer Abnahme der Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten geführt, was neben finanziellen Problemen zu Leerlauf und Frustration führt. In unserer letzten Helios Mitarbeiterzeitung ist ein kurzer Artikel erschienen, der deutlich macht, dass Boreout schlimmer sein kann als Burnout: Auch Boreout führt zu einer inneren Erschöpfung, hervorgerufen durch Unterforderung oder Langeweile. Jeder Mensch möchte aktiv sein, seine Begabungen zur Anwendung bringen, gute Kontakte haben und vor allem wissen und erleben, dass das eigene Tun Sinn macht. Wir haben Patienten, die ein aufwändiges Studium absolviert haben, aber dann keinen Arbeitsplatz finden, sich mit Gelegenheitsjobs irgendwie durchschlagen _ und sehr unter dem Gefühl leiden, ihre Zeit nicht sinnvoll ausfüllen zu können. Häufige Folge: Grübelzwänge, Schlafstörungen und am Ende: Depression. Durch einen regelmäßigen Austausch mit Betroffenen werden Resilienz und Zuversicht gestärkt. In der Resilienz-Forschung hat sich immer wieder gezeigt, dass die soziale Unterstützung der wichtigste Faktor im Hinblick auf die Überwindung von Krisen und traumatischen Lebensereignissen darstellt. Schon in der stationären Behandlung besteht ein wichtiges Behandlungsziel darin, dass der Patient selbst zum Experten seiner Erkrankung wird. Trotz einer gut organisierten Weiterbehandlung besteht im Anschluss an die Entlassung die Gefahr, dass man in das „Loch“ fällt. Ja, man hatte doch alles so gut geplant: Jeder Tag sollte bestimmte Aufgaben, Arbeiten und Pflichten enthalten, gleichzeitig aber auch Zeit für Angenehmes. Man wollte täglich zur selben Zeit aufstehen, tagsüber möglichst aktiv sein und feste nächtliche Schlaf- und Ruhezeiten einhalten – und natürlich Sport treiben! Und mal in die Kirchengemeinde reinschauen, an der man auf dem Weg zur Bushaltestelle schon so oft vorbeigegangen ist. Aber für all die guten Vorsätze fehlt dann irgendwie die Kraft; wir alle brauchen immer wieder Ermutigung und Unterstützung von außen. Besonders an den schlechten Tagen.
Bei unseren Vortragsveranstaltungen, häufig mit auswärtigen Referenten, habe ich mich immer gefreut, wenn auch Patientinnen und Patienten teilgenommen haben. KISS und CFFK informieren sich seit vielen Jahren gegenseitig über alles, was hier läuft. Darüber hinaus war für mich persönlich die gute Zusammenarbeit im Hinblick auf die historische Aufarbeitung der Vergangenheit bedeutsam, zum Beispiel bei den „Stolpersteinen“ oder die Wanderausstellung im Dom zum Thema der Euthanasie-Verbrechen.
Ich bin sicher, dass wir auch weiterhin gute Zusammenarbeit – zumindest für die nächsten 30 Jahre – haben werden, und dass der Selbsthilfegedanke lebendig bleiben wird.
Prof. Dr. med. Andreas Broocks
Carl-Friedrich-Flemming-Klinik, Helios Kliniken Schwerin